Cory Haik Titel

tl;dr (Lesezeit 6 Minuten)

  • Cory Haik ist Chefstrategin bei Mic.
  • Das New Yorker Medienunternehmen legt seinen Fokus vor allem auf Millennials und die Generation Z.
  • Laut Haik besteht guter Journalismus aus einer Kombination von Storytelling und Nutzererlebnis.
  • Die Geschichte müssten für mobile Nutzer geschrieben sein. Außerdem sei eine optimale Aufbereitung für verschiedene Plattformen notwendig, um eine Story möglichst weit zu verbreiten.
  • Der Ansatz “one size fits all” funktioniert nach Haiks Meinung nicht mehr. Die Inhalte müssten vielmehr an die Voraussetzungen unterschiedlicher Netzwerke und Plattformen angepasst werden.
  • Daneben werde Video im Medienbereich zukünftig eine noch zentralere Rolle spielen.

Cory Haik swGute Inhalte reichen nicht aus, um Leser in der digitalen Welt an sich zu binden. Das Nutzererlebnis müsse stimmen, erklärt Cory Haik, Chefstrategin für Mic und damit verantwortlich für die redaktionelle und unternehmerische Ausrichtung des Online-Portals. Im OSK-Interview zur Zukunft des Journalismus geht Haik darauf ein, wie Medien ihre Inhalte zielgruppengerecht aufbereiten müssen, und erklärt, wie Mic das Lesevergnügen seiner Nutzer misst.

Wie viele andere junge Online-Portale hat es auch Mic auf die Millennials abgesehen. Das Portal will die Gruppe der technologieaffinen 18- bis 34-Jährigen aber nicht etwa mit Katzenvideos
erreichen, sondern mit aufwendig recherchierten Berichten zu gesellschaftlich relevanten Themen. Mic sei im Kern ein klassisches Nachrichten-Unternehmen, erzählt Haik. Mit dem Alleinstellungsmerkmal, dass es Informationen durch die Millennial-Brille liefere.

Einen Großteil dieser Inhalte verpackt die Redaktion in Bewegtbildformaten. Diese funktionieren allesamt auch mobil, konsumiert Mics Zielgruppe Medien doch vor allem auf dem Smartphone und in den sozialen Netzwerken. Um dort möglichst viele Nutzer zu erreichen, hat Mic für jede einzelne Plattform eine Strategie entwickelt, nach der Inhalte dort verbreitet werden. Jedes Netzwerk folge schließlich seiner eigenen Logik, sagt Haik. Denselben Artikel unverändert über alle Kanäle auszuspielen, funktioniere nicht.

Cory Haik
Chefstrategin Mic

Twitter: @coryhaik
Facebook: Cory Haik
LinkedIn: Cory Haik

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

In der digitalen Welt müssen detaillierte, originelle Artikel für verschiedene Plattformen aufbereitetwerden. Diese Kombination ist nötig. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Geschichten den Leser nicht erreichen. Wer nur für Klicks schreibt, riskiert außerdem, dass User eine tief gehende Berichterstattung vermissen. Es ist eine neue Art von Journalismus, in dem sich das Rezept für Erfolg schnell verändert.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Wir setzen vor allem auf Journalismus, der die Geschichte und das Nutzererlebnis in den Vordergrund rückt. Dieses Nutzererlebnis besteht, was den Inhalt betrifft, aus einer gezielten Themenauswahl. Was die Form angeht, ist ein exzellentes Storytelling wichtig. Die Geschichte muss für mobile Nutzer geschrieben sein. Außerdem ist eine optimale Aufbereitung für verschiedene Plattformen notwendig, um eine Story möglichst weit zu verbreiten.

Die Geschichte muss für mobile Nutzer geschrieben sein.

Von diesen Plattformen bespielt die Redaktion viele. Das Ziel ist es, relevante Nachrichten auf den richtigen Kanälen zu publizieren. Man findet uns etwa auf Facebook und Twitter, Instagram und Snapchat. Jedes einzelne dieser Netzwerke funktioniert anders und spielt nach eigenen Regeln. Danach müssen die Inhalte ausgerichtet sein. Es funktioniert nicht, denselben Artikel unverändert über alle Plattformen zu verbreiten. Während auf Facebook etwa ein Video am besten funktioniert, ist es auf Snapchat die ungefilterte Berichterstattung live vor Ort.

Jedes Medium muss für sich entscheiden, welche Kanäle passen, für diese dann guten Content erstellen und im Anschluss messen, ob die Inhalte dort erfolgreich sind. Mic hat dafür eine eigene Messgröße entwickelt. Wir nennen sie Impact – „Einfluss“. Sie ergibt sich aus der Formel „Reichweite x Vertrauen = Einfluss“. Wir haben die Kennzahl intern entwickelt. Die meisten Publisher schauen nur auf Klickzahlen. Wir haben uns gefragt, was diese Zahlen wirklich bedeuten. Impact vereint quantitative Daten mit qualitativem Feedback. So können wir das Lesevergnügen unserer
Nutzer messen – und das ist für uns sehr viel wichtiger.

Aufschlüsseln lässt sich die Formel wie folgt: „Reichweite“ messen wir mithilfe von Tracking Tools – hierfür haben wir sogar ein eigenes Programm entwickelt. Es heißt „HASH“, also how a share happened. Wir tracken beinahe alles: Wie viele Artikel ein Leser liest, wie viel Zeit er dafür verwendet, wie weit er scrollt. Wir sehen, ob er weitere Artikel auf unserer Seite liest, sich für einen Newsletter einträgt oder Artikel in den sozialen Netzwerken, per Mail, WhatsApp oder über einen Messenger mit Freunden teilt. Fast alle Plattformen stellen diese Daten bereit – nur iMessage nicht.

Wir können auch sehen, ob die Adressaten dieser Direktnachrichten den Artikel öffnen. So messen wir, wo unsere Leser herkommen: Öffnen sie einen Link, den ihnen Freunde oder Bekannte geschickt haben, oder kommen sie über die Mic-Accounts in den sozialen Netzwerken zu uns? Je höher der Anteil der Erstgenannten ist, desto organischer hat sich ein Text verbreitet. Diese Metrik nennen wir „Social Lift“.

Den zweiten Teil der Formel, das Vertrauen der Leser, ermitteln wir mithilfe von Umfragen. Am Ende einiger Artikel bitten wir Nutzer, uns mitzuteilen, ob sie den Text lesenswert fanden. Wir spielen die Umfragebanner mobil und in der Desktopversion aus, um Unterschiede im Nutzerverhalten zu analysieren.

Danach untersuchen wir, welche Beziehungen zwischen Daten und Nutzerfeedback bestehen. Die Variablen, die sich augenscheinlich gegenseitig beeinflussen, gewichten wir mit einem eigens entwickelten Algorithmus und werten sie aus. So ermitteln wir den „Einfluss“ eines Artikels mithilfe von quantitativen und qualitativen Daten. Die Erkenntnisse sind deutlich aussagekräftiger als der alleinige Blick auf Seitenansichten und Besucherzahlen.

Wir lernen viel aus diesen Daten – ob ein Artikel viral gehen wird, können wir aber nicht vorhersagen. Das ist fast unmöglich. Dafür erfahren wir andere wichtige Dinge: Wir sehen beispielsweise, dass Leser, die über unseren Newsletter auf die Seite kommen, deutlich mehr Zeit dort verbringen als Leser, die unsere Website über Facebook oder Twitter erreicht haben. Erstere haben sich bewusst für Mic entschieden und sind dadurch loyaler. Sie bleiben länger bei uns.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Ideen für Storys bekommen wir von überall: durch Gespräche mit unseren Freunden, durch Netzwerke und Diskussionen auf Seiten wie reddit oder Tumblr und von uns untereinander. Mic ist von innen heraus ein Nachrichten-Unternehmen, das Informationen durch eine Millennial-Brille hindurch liefert.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Der Journalist sollte erstens tief gehende, kluge und relevante Nachrichten bringen. Er muss Themen behandeln, die uns wirklich interessieren. Zweitens sollte der Journalist seine Inhalte für aufstrebende Plattformen planen, wie zum Beispiel Snapchat oder Instagram Stories. Das Ergebnis ist ein explosionsartiges Leserwachstum. Und drittens gilt es, die besten Artikel mit den neuesten Technologien zu kombinieren, um eine wahre Premium-Marke aufzubauen.

Unsere Zielgruppe besteht vor allem aus Millennials mit Hochschulbildung. Wir erreichen sie, indem wir Geschichten bringen, die man sonst nirgendwo liest. Millennials und die Generation nach ihnen – Gen Z – sind visuell geprägt. Fesselnde Inhalte, die auf dieser Basis aufbauen, werden sich auszahlen. Laut dem Internet Trends Report 2016 von Mary Meeker haben Millennials eine Technik-Intelligenz entwickelt, die sie spielend mit den neuen Kanälen umgehen lässt. Der Generation Z ist diese Eigenschaft sogar quasi angeboren.

Das Spannende an Millennials ist, dass sie die erste wirklich internationale Generation in der Geschichte sind. Hauptgrund dafür sind das Smartphone und soziale Netzwerke wie Facebook. Obwohl sich Nachrichtenzyklen und Themen von Land zu Land unterscheiden, ist der Nachrichtenkonsum von Millennials überraschend ähnlich.

// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Der Schlüssel zum Erfolg ist das Nutzererlebnis. Dass wir uns an Mobile angepasst haben, ermöglicht der Zielgruppe, unsere Inhalte überall und visuell ansprechend zu konsumieren. Darum teilen wir jeden Beitrag bei Facebook als Instant Article. Wer auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn einen Text lesen möchte, will nicht lange warten, bis der Link sich aufgebaut hat. Nach wenigen Sekunden Ladezeit bricht der User ab. Instant Articles helfen sehr, weil es so gut wie keine Ladezeit gibt.

Insgesamt arbeiten wir klar gegen die Annahme „One size fits all“ und veredeln jeden Inhalt für das entsprechende Netzwerk. Auf diese Weise kommen Nutzer immer wieder zu uns zurück und bauen eine Verbindung zur Marke auf. Das ist der Kerngedanke, der jeder unserer Produkt- und Design-Entscheidungen zugrunde liegt.

Die Struktur von Mic ist besonders. Sie ermöglicht eine schnelle Anpassung an mobile Innovationen. Unsere Produkt-, Technik- und Design-Teams bilden eine gemeinsame Abteilung. Sie arbeiten zusammen und produzieren sowohl redaktionelle als auch werbliche Inhalte, die auf „Mobile First“ ausgerichtet sind. Die Video-, Service- und Reporterteams gehören alle zur Redaktion. Das gibt uns ein gutes Gefühl dafür, welche Geschichten wo, wann und wie funktionieren. Unser Team für gesponserte Inhalte sitzt separat von den anderen Redakteuren, jedoch haben wir unter allen Teams ein sehr kollaboratives Umfeld bei Mic.

Content Marketing wird in Zukunft überwiegen.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Digitale Anzeigen werden weiterhin existieren, aber Content Marketing wird in Zukunft überwiegen. Zudem sind wir in der frühen Phase der Mobile-Video-Revolution. Mit täglich mehr Video-Uploads, als man im ganzen Leben konsumieren könnte, sind wir die erste Generation, die sich durch eine Welt des Informationsüberflusses navigieren muss. Medien müssen sich deswegen wieder auf Qualität konzentrieren, um im Grundrauschen nicht unterzugehen. Was Display-Ads angeht, haben wir ähnliche Angebote, jedoch an unseren Hochglanzmagazin-Stil angepasst. Unser Publikum nimmt sie gut an, weil sie zwischen den Artikeln nicht stören.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Alles wird sich um Video drehen. Die meisten Videos werden dann mobil angeschaut. Wir hatten übrigens damit begonnen, uns auf YouTube zu konzentrieren, als wir gemerkt haben, dass die Mehrheit unserer Leser sich anderen Plattformen, etwa Facebook oder Snapchat, zuwendet. Dennoch haben wir viele Inhalte entwickelt, die für YouTube gedacht waren. Für unsere Erfahrung mit Video-Content war das hilfreich. Das Gelernte muss man natürlich auf die anderen Plattformen zuschneiden. Facebook-Videos haben andere Anforderungen. Sie müssen ohne Ton funktionieren und den Nutzer in den ersten Sekunden in den Bann ziehen.

Um Mic in diesem Bereich noch stärker zu positionieren, haben wir die Mobile Video App Hyper erworben. Hyper kuratiert jeden Tag den besten Video-Content des Netzes, etwa aus den Bereichen Technologie, Kultur und Style. Das Hyper-Team hat es geschafft, eine qualitativ hochwertige Plattform zu kreieren, welche die Mittelmäßigkeit aus unserer aller täglichen Video-Erfahrung verschwinden lässt. Die Kräfte von Mic und Hyper zu bündeln, ist eine enorme Chance, wenn es um Mobile Video geht.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Diese Frage würde ich für mich weniger auf eine bestimmte Publikation oder ein spezielles Thema beziehen als auf eine ganz neue Art der Darstellungsform. Gemeint sind 360-Grad-Videos und Virtual Reality. Beides wird die Art der Berichterstattung zukünftig ändern. Doch sowohl VR als auch 360-Grad-Videos müssen noch zeigen, dass sie den Massenmarkt ansprechen und für den Mainstream geeignet sind. Wir müssen also schauen, was in den nächsten Jahren passiert, falls sie sich durchsetzen.

Bild: Marvin Joseph/The Washington Post

Über die Autorin

Katalina hat Politik- und Europawissenschaften in Maastricht, Bologna sowie München studiert und sowohl im Journalismus als auch in der Unternehmenskommunikation gearbeitet. Bei OSK leitet Katalina in Doppelspitze die Social-Media-Redaktion. Auf dem Agenturblog schreibt sie über Medien, Apps und soziale Netzwerke. Wenn die Hamburgerin nicht am Schreibtisch sitzt, läuft sie Langstrecken und spielt Basketball.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.