© Deutschlandradio Sich selbst sieht sie mehr als Digitalstrategin denn als Journalistin im streng klassischen Sinne: Anja Stöcker, seit März 2013 Redaktionschefin Online und Social Media bei DRadio Wissen in Köln, hat an vorderster Front den Relaunch nebst begleitenden Social-Media-Aktivitäten für das dritte Programm des öffentlich-rechtlichen Deutschlandradios vorangetrieben. Im Februar 2014 gingen das On-Air-Update und die neue Webseite von DRadio Wissen online. Mit prämierungswürdigem Ergebnis – in der Kategorie Webmagazin gab es dafür im September eine Lead Award-Auszeichnung. OSK hat mit Anja Stöcker über die Entwicklung des Journalismus gesprochen.

Bereits zum Start von DRadio Wissen im Jahr 2010 war Stöcker als Online-Redakteurin mit an Bord. Bis dahin kannte sie das Thema Radio lediglich als Hörerin, in puncto Radiomachen betrat sie persönliches neues Terrain. Baldige Erkenntnis: „Dieses Medium ist schneller als das getippte Internet.“ Mit der praktischen Arbeit erschloss sich ihr nach eigenem Bekunden dann auch, „wie Radio geht“. Die Arbeit am 2014er-Relaunch bot Stöcker ein ideales Betätigungsfeld, denn Inhalte webaffin zu denken und nutzerorientiert zu entwickeln, das betrachtet sie als ihr Metier.

Vor ihrem Radio-Engagement sammelte die Kunsthistorikerin mit Aufbaustudium in Kultur- und Medienmanagement Berufserfahrung in der Redaktion von Brockhaus online. Die dortige Aufgabe ab Sommer 2007: Das renommierte Lexikon sollte ins Netz gehen. Die Idee zur digitalen Neuausrichtung kam allerdings zu spät. Wikipedia war bereits unschlagbar, was das Aus für die Brockhaus-Redaktion nach sich zog – für Stöcker eine persönlich sehr beeindruckende Lektion in Sachen Medienwandel. Zuvor hatte sie sich ab Herbst 2002 bei kulturserver.de neben redaktionellen Aufgaben mit der Entwicklung eines Social Network, Content-Management-Systemen sowie Datenbankstrukturen beschäftigt. Außerdem schrieb sie in verschiedenen Jobs Pressetexte für Print und setzte sich  – schon zu Studienzeiten plus einige Jahre darüber hinaus – bei der VG Bild-Kunst intensiv mit der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Internet auseinander.

All diese beruflichen Erfahrungen münden in das, was nach Stöcker einen Digitalstrategen im medialen Umfeld ausmacht: Jemand, der routiniert und professionell in der Konzeption, Realisierung und Gestaltung digitaler Prozesse arbeitet und künftigen Bedarf identifiziert.

Im Interview geht Anja Stöcker, deren Herangehensweise nach eigener Aussage immer eine nicht ausschließlich journalistische sein wird, darauf ein, wie wichtig ein grundlegendes Verständnis zur Funktionsweise und Anwendbarkeit medialer Möglichkeiten ist, gerade im Zusammenhang mit einer immer schnelleren Innovationstaktung. Die entscheidende Grundlage für Journalismus sieht sie aber vor allem in einer klaren publizistischen Idee, auf deren Basis es gelte, die in ihrem Segment relevante Technologie zu nutzen – nicht umgekehrt.

Anja Stöcker
Redaktionsleiterin Online und Social Media bei DRadio Wissen

Facebook: Anja Stoecker
Xing: Anja Stoecker

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Ich finde den Begriff grundsätzlich schwierig. Spricht man über Qualität im Journalismus, dann wird sich diese nicht nur in den Inhalten selbst, sondern auch in dem Vermögen zeigen, diese Inhalte qualitativ hochwertig – also professionell – zu publizieren und damit sichtbar sowie hörbar zu machen. Es geht um redaktionelle Führung der Inhalte, adäquate Darstellungsformen und Themensetzung. Beim Radio insbesondere außerdem um die Ansprache des Publikums, aber auch um den Dialog. Erzielt man hier eine Relevanz, erfüllt das Medium die Qualitätsansprüche des Journalismus in der Zielgruppe. Aus diesen Gründen haben wir im Februar 2014 eine komplett neu konzipierte Version von DRadio Wissen veröffentlicht. Geblieben sind natürlich der journalistische Anspruch und ein hohes Maß an Verlässlichkeit.

Die Art der Präsentation aber wurde in allen Bereichen im Sinne der Zielgruppe On Air und online verändert. Waren unsere Inhalte bis dahin sehr akademisch und die Vermittlung extrem nüchtern, fast spröde, bewegen wir uns nun auf Augenhöhe mit der Zielgruppe. Die verschiedenen Verbreitungswege funktionieren, passen zu den Lebensgewohnheiten und werden von uns auch weiterhin immer wieder Neuerungen erfahren. Denn journalistische Formate werden meiner Meinung nach – wie alle anderen Dinge auch – kürzeren Innovationszyklen folgen müssen. Ich halte diese digitalstrategischen Überlegungen für extrem wichtig und sehe sie als tägliche redaktionelle Aufgabe, wenn man qualitativ hochwertigen Journalismus machen möchte.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Ein großer Trend im Journalismus ist aktuell, über die Zukunft des Journalismus zu debattieren. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Medienanbieter dabei fast vergessen, dass für Medienkonsumenten diese Diskussionen eher nachrangig sind. Der Medienkonsum ist von Nutzerseite routiniert, findet täglich statt, Berührungsängste gibt es wenige, neue Anwendungen oder Produkte finden sofort den Weg in den Alltag. Und genau diese Routinen und die Fähigkeit, Neues zu erschließen, braucht auch der Journalismus. Es geht um ein grundlegendes Verständnis zur Funktionsweise und Anwendbarkeit medialer Möglichkeiten.

Erstens: Um diese Optionen für die Recherche, Erschließbarkeit und Auswertung von Inhalten, Daten und Informationen für die redaktionelle Arbeit zu nutzen.
Zweitens: Um die daraus entstehenden Nachrichten, Erkenntnisse und Geschichten etc. zielgruppengerecht veröffentlichen, verständlich machen oder erzählen zu können.
Drittens: Um kommunizieren zu können mit Fachleuten, aber natürlich auch Hörern, Nutzern und Konsumenten.
Und viertens: Um erkennen zu können, ob die Themensetzung Relevanz erzeugt und entsprechende Bedürfnisse identifizieren und aufnehmen zu können. Bei all diesen Punkten werden technisches Wissen und gestalterisches Können zunehmend eine Rolle spielen. Aber auch entsprechende Kenntnisse des Mediennutzungsverhaltens. Trends kann nur setzen, wer Bedürfnisse erkennt, innovativ denkt und etwas erfindet, das aus Sicht des angepeilten Konsumenten attraktiv ist.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Zur klassischen Themenrecherche kommt in meinem Fall auch die Beschäftigung mit Themen wie Technik, Design, Usability, Urheberrecht, Social Media, Audioverbreitung und Monitoring. Ich nutze Twitter, den Newsreeder Feedly und tatsächlich auch wieder vermehrt Newsletter.

Den einen Verbreitungsweg gibt es schon lange nicht mehr.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Der gekonnte Umgang mit der Fragmentierung medialer Inhalte und der Kennzeichnung als Herausgeber oder Autor wird meines Erachtens eine Rolle spielen. Den einen Verbreitungsweg – früher war es die Homepage auf dem Desktoprechner – gibt es schon lange nicht mehr. Es wird zunehmend vor allem um die Formatentwicklung für verschiedene Distributionskanäle gehen. Dabei müssen die Inhalte auf den verschiedenen Kanälen in der jeweiligen Umgebung unabhängig voneinander funktionieren. Alle Herausgeber veröffentlichen ihre Inhalte auch jetzt schon auf verschiedenen Kanälen, beispielsweise via Social Media oder im Fall von Radio und Audios über Anbieter wie radioplayer.de oder Podcastingseiten. Und auch die Konsumenten beziehen Teilinhalte via Newsfeeds, Podcast-Abos, Apps und auf vielen anderen Wegen.

All das geschieht zuhause und unterwegs, auf Smartphones, Tablets, Rechnern oder Smartwatches, zu unterschiedlichen Zeiten und mit verschiedenen Bedürfnissen. Trotzdem muss aber der jeweils ausgewählte Weg immer verständlich und attraktiv sein. Als Herausgeber oder Autor wird man daher beispielsweise Wert auf eine klare Absenderinformation legen. Zudem liegt es nahe, die Chance zu nutzen, an dieser Stelle den Zugang zu weiteren Inhalten so einfach wie möglich zu machen. Als Radioprogramm und Podcast-Anbieter verfolgen wir diese Idee immer auditiv und visuell. Teilweise auf sehr beschränktem Raum, denn ein einzelner Podcast ist letzten Endes nur ein Audiofile mit Dateinamen, das auf verschiedenen Wegen verbreitet wird.

Wer ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass Konsumenten Medien völlig unterschiedlich nutzen, wird ganz anders über Verbreitungswege nachdenken. Beispielsweise kann es im Fall von DRadio Wissen durchaus sein, dass ein Konsument zwar das lineare Programm gerne hört, jedoch kein Interesse an unseren Podcasts hat, oder dass ein anderer Postings liest, kommentiert und teilt, jedoch noch nie das Programm gehört hat. Wieder ein anderer Nutzer abonniert vielleicht eine Sendung als Podcast, hat daneben aber kein Interesse an weiteren Publikationen des Programms, zum Beispiel auf der Website.

// Über #ZukunftDesJournalismus

Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Dass Innovationszyklen in immer kürzerer Taktung aufeinander folgen, beeinflusst Medienrezipienten und damit auch Medienanbieter schon jetzt. Je besser Medienanbieter dieses Umfeld verstehen, desto besser können diese Technologien im Journalismus eingesetzt werden. Die Beschäftigung damit sehe ich als wesentlichen Teil meiner täglichen Aufgaben als Redaktionsleitung. Dazu gehört auch, neue Lösungen für DRadio Wissen zu durchdenken, anzuwenden und für das Programm nutzbar zu machen. Gestaltung und Webdesign spielen dabei eine genauso große Rolle wie die Technik. Neues entsteht bei DRadio Wissen in Zusammenarbeit der Redaktion mit unserer Agentur, dem Webdesigner und der Grafik. Die eine richtige Lösung für alle Anbieter gibt es meines Erachtens ebenso wenig wie den Journalismus oder das publizistische Konzept.

Mit technologischen Veränderungen verändert sich immer die bis dahin vorhandene Situation für Anbieter und Konsumenten. Auch journalistische Inhalte sind diesen Entwicklungen unterworfen oder besser: verpflichtet. Ändern sich Bedürfnisse oder Nutzungsgewohnheiten, müssen Redaktionen darauf reagieren. Für mich stehen diese Dinge außer Frage. Vermutlich weil ich immer für Webprojekte, aber nicht ausschließlich im Journalismus gearbeitet habe. Für den Journalismus stellt eine klare publizistische Idee auch im Sinne einer Medienmarke die Grundlage dar. Auf Basis dieser Idee gilt es, die in ihrem Segment relevante Technologie zu nutzen. Umgekehrt wird es nicht funktionieren. Denn zunächst eine Technikauswahl zu treffen und dann erst zu schauen, was publizistisch damit zu machen ist, verfehlt das Ziel. Und nicht jedes Tool oder Format ist für jeden Anlass und jeden Anbieter eine gute Lösung.

Wir werden mit unserer Arbeit überzeugen müssen.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Wie die vor mir befragten Kollegen kenne auch ich weder die Antwort, noch habe ich eine bisher nicht gedachte Idee. Wir werden mit unserer Arbeit überzeugen müssen. Das gilt für die öffentlich-rechtlichen Inhalte aus meiner Sicht genauso wie für privat finanzierte Medien.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Die Entscheidung, ob Medien eine Relevanz erfahren, liegt vornehmlich bei den Konsumenten. Die Relevanz journalistischer Inhalte und die entsprechende Angebotslandschaft werden in fünf Jahren deutlich von digitalstrategischer Kompetenz und entsprechenden Entscheidungen geprägt sein. Entscheidungen, die wir aktuell treffen und die es uns beispielsweise ermöglichen, flexibel auf neue inhaltliche Fragestellungen oder rechtliche Rahmenbedingungen, aber auch Distributionskanäle zu reagieren. Oder eben auch nicht. Wir als Anbieter sollten unsere Inhalte mit der gleichen Leidenschaft und dem gleichen Anspruch im Hinblick auf Inhalt, Anmutung sowie Funktionsfähigkeit produzieren und kuratieren, mit der wir selbst Medien nutzen.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Ich bin immer noch so mit der Erforschung der bereits vorhandenen Medien, Informationsquellen und Möglichkeiten beschäftigt, dass ich bisher noch nichts wirklich vermisst habe.

Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.