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Classic journalist kit

tl;dr (Lesezeit: 5 – 10 Minuten)

  • Nikolaus Röttger ist Chefredakteur des deutschen Innovations- und Tech-Mediums WIRED.
  • Mit dem Online-Journalismus sei es ein bisschen wie mit Essen und Restaurants. “Man muss sich entscheiden: Bin ich eine große Fast-Food-Kette oder bin ich ein teures Restaurant mit weißer Tischdecke?”
  • Damit Medien für sich die richtigen Kanäle finden, müssen sie laut Röttger viel ausprobieren. Wer sagt, „ich verstehe Snapchat nicht“, mache es sich zu leicht.
  • Als Medienmarke sei es essenziell geworden, sein Publikum genau zu kennen und zu wissen, wo die Menschen mit der Marke in Berührung kommen wollen.
  • Lustig findet der Medienexperte, dass es aus seiner Sicht derzeit eine Renaissance des Stummfilms gibt. “Denn plötzlich sind alle Videos untertitelt, da wir sie unterwegs nicht laut anhören können.”

nikolaus roettger_2016_credit-petra-kleis-fur-wired_kleinDie Deutschen haben ein gespaltenes Verhältnis zur Technologie: Der technologische Fortschritt wird hierzulande skeptischer begutachtet als anderswo. In kaum einem anderen Land werden Themen wie Datensicherheit ähnlich kontrovers diskutiert. Und dennoch habe Technik unseren Alltag längst durchdrungen, sagt Nikolaus Röttger, Chefredakteur des deutschen Innovations- und Tech-Mediums WIRED: „Wir gehen auf die Datenschutz-Demo und suchen den Weg dorthin mit Google Maps. Wir machen uns Sorgen um die Spuren, die wir im Netz hinterlassen, tragen aber einen Fitness-Tracker.“ In diesem Spannungsfeld bewege sich der Technologie-Journalismus in Deutschland, erzählt Röttger im Gespräch mit OSK. Dort muss sich auch WIRED zurechtfinden.

2011, als die erste deutsche Testausgabe von WIRED Germany als Magazin erschien, hatte dessen 1993 gegründetes amerikanisches Vorbild längst Kultstatus. Dass diese Erstausgabe für den Vertriebstest auch dem Männermagazin GQ beilag, sorgte für verhaltene Reaktionen in der Netzwelt. Themenwahl, Sprache und Layout seien ein wenig laut und angestrengt, urteilte Die Zeit, „ausbaufähig“, schrieb Meedia. Fünf weitere Testausgaben, zwei Chefredakteure und drei Jahre später entschied sich Condé Nast dann zu einem groß angelegten Launch als mehrdimensionale Medienmarke. Das Magazin wurde flankiert von einer mobil optimierten Website und weiteren Geschäftssäulen wie WIRED Conferences und dem Digital-Education-Programm WIRED Campus. Ein Konzept, das sich laut Kritikern in vielen Hinsichten mit der amerikanischen Legende messen konnte. Das Lob der Rezensenten galt auch Nikolaus Röttger: Es war die erste Ausgabe, die er verantwortet hatte, und er war maßgeblich am Neustart von WIRED als Marke beteiligt.

Röttger, der bereits als Chefredakteur von Gründerszene und als Gründer und Redaktionsleiter von Business Punk bewies, dass Nischenmagazine in Deutschland funktionieren können, sieht seine Arbeit als Herausforderung: „Wir sind ein zukunftsoptimistisches Magazin. Waren wir schon immer. Und in Deutschland ist Technologie-Optimismus immer noch Mangelware.“ Umso wichtiger sei es, die Marke WIRED zu verankern und weiterzuentwickeln. „Wir waren uns darüber einig, dass wir nicht nur ein Magazin starten, sondern eine Marke“, sagt Röttger. Die Verzahnung verschiedener Kanäle sei dabei umso wichtiger. Im Gespräch mit OSK erzählt Röttger, wie sich Print, Online und Event verknüpfen lassen. Außerdem spricht er über Online-Werbung, die nicht nervt, seine Begeisterung für Live-Berichterstattung und faule Ausreden zum Thema Snapchat.

Nikolaus Röttger
Chefredakteur WIRED Germany

Web: nikolaus-roettger-de
Twitter: @nikolausr
Facebook: Nikolaus Roettger
Instagram: @nikolausr
LinkedIn: Nikolaus Roettger
Xing: Nikolaus Röttger

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Die Herausforderung im Nachrichtenjournalismus liegt darin, relevant und gleichzeitig schnell zu sein. Im Netz sind viele Geschichten reichweitengetrieben. Schwierig wird es, wenn Medien denselben News hinterherhetzen, weil die schnellen Nachrichten mehr Klicks bringen als die aufwendigen Hintergrundanalysen. Letztere sind aber mindestens genauso wichtig für die Positionierung eines Mediums im Netz. Für WIRED, aber auch für andere Medienmarken bedeutet das: Man muss genau austarieren, wie man den Themenmix in Einklang mit der Markenidentität bringt.

Es ist ein bisschen wie mit Essen und Restaurants. Jeder kann kochen – aber trotzdem gibt es noch Restaurants. Im Internet ist nach wie vor Platz für starke Medienmarken. Aber man muss sich entscheiden: Bin ich eine große Fast-Food-Kette, die schnell die Pommes raushaut und viele Leute reinlockt, oder bin ich ein teures Restaurant mit weißer Tischdecke? Je teurer man ist, desto mehr Service erwarten die Leute. Umso wichtiger ist es, dass zwischendurch der Chefkoch vorbeikommt, sich erkundigt, ob es schmeckt und welchen Wein die Gäste zu ihrem Essen trinken möchten.

WIRED setzt auf den Mix. Wir berichten über das, was täglich in der digitalen Welt passiert. Aber wir sind keine Klickmaschine. Wir bieten jeden Tag eigens recherchierte Geschichten und setzen mit unseren Einordnungen Akzente. Wir machen Slow Food auf allen Kanälen.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Derzeit dreht sich viel um die sozialen Netzwerke. Medien erzählen Geschichten auf Twitter, WhatsApp, Instagram, Snapchat oder Facebook, beispielsweise mit Live-Video. Das ermöglicht großartige Einblicke und den direkten Kontakt zum Leser. In Zukunft werden wir aber noch viel mehr ausprobieren, denn immer häufiger gibt es neue Features, Apps oder Plattformen. Erzählen wir Geschichten künftig im Messenger oder über eine VR-Brille? Ausprobieren kostet zunächst einmal viel Zeit, Geld und Energie. Aber es bietet auch tolle Chancen. Die Herausforderung besteht am Ende darin zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ein neues Feature zum festen Bestandteil der eigenen Markenwelt zu machen.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Ich bin viel in den sozialen Kanälen unterwegs. Am liebsten würde ich noch mehr Sprachen lernen, um technologische Entwicklungen in anderen Ländern der Welt besser einordnen zu können. Im asiatischen Raum passiert beispielsweise sehr viel, das finde ich interessant. Genauso wichtig ist für mich und unsere Autoren, einfach rauszugehen, um die Welt zu reisen, Konferenzen zu besuchen und Leute zu treffen. Dabei findet man gute Geschichten, lernt Menschen und Hintergründe kennen.

Man muss offen für Neues sein und vieles ausprobieren.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Eine Grundregel des Journalismus ist: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Neu ist, wie wir sie erzählen. Wir müssen uns fragen, wie wir sie für welche Kanäle aufbereiten wollen und wie wir die Nutzerführung sinnvoll gestalten können. Um auf diese Fragen die richtigen Antworten zu finden, müssen wir verstehen, wie Menschen Medien konsumieren. Wer sagt, „ich verstehe Snapchat nicht“, macht es sich zu leicht. Man muss offen für Neues sein und vieles ausprobieren.

Auf persönlicher Ebene gilt für Journalisten: Es ergibt Sinn, sich selbst als Marke aufzubauen. Das kann einige Türen öffnen, die sonst verschlossen geblieben wären. Aber nicht jeder muss zum Promi werden. Und man sollte sich in so einem Fall immer kritisch hinterfragen: Bin ich Journalist, bin ich Aktivist oder Influencer? Da verschwimmen die Grenzen schnell.

// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Natürlich ist es wichtig, agil zu bleiben. Man muss bereit sein, sich technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Das gilt für alle Industrien, die durch die Digitalisierung herausgefordert werden. Als Medienmarke ist es essenziell geworden, sein Publikum ganz genau zu kennen und zu wissen, wo die Menschen mit der Marke in Berührung kommen wollen. Deshalb entspricht auch das Set-up von WIRED nicht dem eines klassischen Magazins. Wir haben WIRED von Anfang an als Marke begriffen. Das Heft ist nach wie vor ein wichtiges Standbein. Darüber hinaus gibt es neben den Online-Angeboten aber auch unsere Unit WIRED 3C für unseren WIRED Campus, die Conferences und das WIRED Consulting.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Die große Frage! Werbung spielt auch in Zukunft eine große Rolle. Klassische Anzeigen werden weiterhin gedruckte Inhalte finanzieren. Online funktioniert Werbung besonders gut, die den Leser in seinem Medienerlebnis nicht stört.

Paid Content fordert viele Verlage noch immer heraus. Sie hadern mit dem Verlust der Reichweite. Das ideale Modell, journalistische Inhalte online zu monetarisieren, hat bislang zwar noch niemand gefunden, aber man spürt deutlich, dass Medienunternehmen kreativer werden, unternehmerischer denken und alternative Geschäftsmodelle aufbauen, die auch redaktionelle Angebote finanzieren können.

Wir erleben gerade auch eine Renaissance des Stummfilms.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Wenn ich das wüsste! Ich könnte jetzt den Blick in die Glaskugel werfen und sagen, dass wir alles in der Virtual Reality erleben werden. Vielleicht setzt sich VR als journalistische Erzählweise durch. Es kann sein, dass schnelle snapchatartige News wichtig werden. Es ist aber auch möglich, dass Facebook noch mehr Inhalte und Funktionen bündelt. Lustig ist: Wir erleben gerade auch eine Renaissance des Stummfilms. Denn plötzlich sind alle Videos untertitelt, da wir sie unterwegs nicht laut anhören können.

Wie genau es in fünf Jahren aussehen wird, weiß niemand. Vor fünf Jahren wusste auch noch niemand, dass wir heute mit Facebook Video-Live-Berichterstattung machen würden. Man kann sich am Ende auf eine Sache einstellen: Dass sich alles recht schnell verändert und wahrscheinlich nichts so bleibt, wie es ist. Allein die journalistischen Grundwerte werden bleiben. Nur die Aufbereitung der Geschichten wird eine andere sein.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Live-Video hat mich ziemlich angefixt und wird sich in Zukunft noch stärker verbreiten. Als die Meisterfeier des FC Bayern nicht live im Bayerischen Rundfunk übertragen wurde, habe ich einen Live-Stream auf Facebook gefunden und zusammen mit 35.000 anderen Menschen zugeschaut.

Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.