© Facebook

Die einen sehen es als die lang ersehnte Lösung für die finanziellen Probleme vieler Verlage, die anderen befürchten den Untergang des unabhängigen Journalismus. Vor rund vier Wochen startete Facebook in Kooperation mit ausgesuchten Medienhäusern die Funktion „Instant Articles“ für mobile Endgeräte. Seit dem Start ist noch nicht viel passiert. Facebook befindet sich in der Testphase, veröffentlicht die Inhalte nach und nach und zunächst nur für wenige User. Mit dabei sind die New York Times, National Geographic, Buzzfeed, die BBC und der Guardian. Deutsche Medien sind mit „Bild“ und Spiegel Online ebenfalls vertreten. Das Besondere an den Inhalten für „Instant Articles“: Content wird direkt auf Facebook hochgeladen, nicht verlinkt. Nutzer bleiben auf der Plattform und werden nicht auf eine externe Seite weitergeleitet. Wir haben mit dem Medien-Experten Dr. Leif Kramp über die Bedeutung von “Instant Articles” für die Medien-Branche gesprochen.

© Kathrin BrunnhoferFür Facebook hat das Feature den Vorteil, dass sich User länger auf der Seite aufhalten. Außerdem bedeutet mehr qualitativ hochwertiger Inhalt eine interessantere Umgebung für potenzielle Werbepartner. Die Verlage auf der anderen Seite dürfen die Anzeigen neben ihren Inhalten selbst vermarkten und die vollständigen Werbeeinnahmen für sich behalten. Wenn Facebook die Vermarktung übernimmt, springen 70 Prozent der Anzeigenerlöse heraus. Zusätzlich sollen die Publisher vollen Zugriff auf die Nutzerdaten ihrer Leser bekommen.

Befürworter hoffen, dass „Instant Articles“ ein Schritt auf dem Weg aus der Finanzierungskrise vieler Medien sind. Kritiker sehen die Unabhängigkeit der Berichterstattung in Gefahr, wenn Beiträge exklusiv auf Facebook veröffentlicht werden. Artikel, so der Gedanke, könnten schließlich gelöscht oder zensiert werden, wenn sie dem sozialen Netzwerk nicht passen.

„Wenn die journalistische Unabhängigkeit und die kritische Haltung gegenüber dem Kooperationspartner unter einer solchen Vereinbarung leiden würde, würden die beteiligten Redaktionen den sprichwörtlichen Ast absägen, auf dem sie sitzen“, sagt Medien- und Kommunikationswissenschaftler Dr. Leif Kramp. „Instant Articles“ aus Angst komplett zu ignorieren wäre „ein fataler Fehler“. Trotzdem müssten etablierte journalistische Anbieter darauf achten, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Seit 2011 arbeitet Kramp als Forschungskoordinator am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen. Ehrenamtlich ist der 34-Jährige als Vorstandsmitglied im Verein für Medien- und Journalismuskritik aktiv, außerdem als Herausgeber des Online-Portals VOCER und Direktor des journalistischen Nachwuchsförderprogramms VOCER Innovation Medialab.

3-MapQuelle: Facebook

Medien begleiten Leif Kramp, wie er sagt, seit seiner Jugend: als Nutzer, als Journalist und als Wissenschaftler. Rückblickend sei es wohl die allgegenwärtige Durchdringung des Alltags durch Medien gewesen, die seine Neugier für das Thema geweckt haben. Schließlich seien besonders soziale Netzwerke aus der Medienökologie nicht mehr wegzudenken und einer der mächtigsten Antriebsfedern für Innovationen auf den Medienmärkten.

Im Interview erklärt Leif Kramp, worauf Content-Anbieter bei den „Instant Articles“ achten sollten, welche Vor- und Nachteile die neue Funktion bietet und ob Facebook das Journalismus-Modell der Zukunft erfunden hat.

Herr Dr. Kramp, Mitte Mai hat Facebook Instant Articles für seine mobile App gestartet. Neun Medienhäuser, darunter Spiegel Online und Bild, werden einen Teil ihrer Inhalte in Zukunft vollständig bei Facebook veröffentlichen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Klassische Nachrichtenanbieter versuchen, den Anschluss an ein Medienumfeld zu halten, das sich rasch wandelt. Facebook ist eine weitere von vielen Vertriebsplattformen für journalistische Inhalte, die in jüngerer Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat. Es ist nur konsequent, speziell zugeschnittene Darstellungsformen für diesen Kanal anzubieten. Das liegt deshalb nahe, weil sich viele Nutzer hauptsächlich innerhalb geschlossener Medienangebote wie Facebook aufhalten. Einzelne Nachrichtenwebsites steuern sie nur noch selten direkt an. Facebook katapultiert sich mit diesem Kooperationsmodell in eine noch stärkere Machtposition, weil es damit nun auch eine Form von verlegerischer Funktion wahrnimmt.

Angeblich können die Medienhäuser Werbung im Umfeld der Artikel selbst vermarkten. Außerdem erreichen sie eine große Leserschaft. Facebook hingegen hält Nutzer auf seiner Seite. Für alle eine Win-Win-Situation?

Die Mehrheit der klassischen Nachrichtenorganisationen, speziell traditionelle Zeitungsverlage, hat dem digitalen Wandel lange Zeit nur zugeschaut und ihn zum Teil auch ignoriert. Jetzt sind die Verlage mit dem Status quo veränderter Mediennutzungsgewohnheiten konfrontiert. Wegen der aktuellen Marktsituation müssen Redaktionen Alternativen zum bislang weithin stabilen Modell aus Anzeigen und Vertrieb finden. Dazu zählt auch, die Bevölkerung dort zu erreichen, wo sie sich online aufhält. Das zu ignorieren wäre ein fataler Fehler. Dennoch sollten sich etablierte journalistische Anbieter nicht unter Wert verkaufen und eine starke Verhandlungsposition einnehmen, wenn es um die Vermarktung ihrer Inhalte geht. Letztlich steigt auch die Attraktivität von Facebook, wenn dort – teilweise exklusiv – hochwertiger Journalismus angeboten wird.

Inwiefern ist eine unabhängige Berichterstattung auf diese Weise noch gewährleistet?

Wenn die journalistische Unabhängigkeit und die kritische Haltung gegenüber dem Kooperationspartner unter einer solchen Vereinbarung leiden würden, sägten die beteiligten Redaktionen den sprichwörtlichen Ast ab, auf dem sie sitzen. Die Glaubwürdigkeit des Journalismus und das Vertrauen in unabhängige Berichterstattung stehen in der digitalen Sphäre mehr denn je zur Debatte. Deshalb reichen auch keine innovativen Geschäftsmodelle, um die Zukunft des Journalismus abzusichern. Vielmehr brauchen wir ein systematisches Qualitätsmanagement.

Voraussetzung sind regelmäßige Investitionen in die redaktionellen Strukturen. Beispielsweise wird noch zu wenig darauf geachtet, dass innerhalb von Redaktionen angesichts des zunehmenden Zeit- und Kostendrucks Freiräume fehlen, um Qualität zu sichern und zugleich Kreativität zu fördern. Das ist nötig, damit Journalismus auch technisch auf der Höhe dessen bleibt, was digital möglich ist.

© FacebookQuelle: Facebook

Sind ähnliche Funktionen wie Instant Articles zukünftig auch für Unternehmens-Inhalte, beispielsweise Texte aus Corporate-Blogs, vorstellbar?

Natürlich, Journalismus, PR und Werbung streiten auf allen Kanälen um die Aufmerksamkeit der Rezipienten. Wir erleben bereits seit Jahren, dass insbesondere jüngere Altersgruppen journalistische Inhalte im Internet schwieriger erkennen. Das liegt zum einen an der Flut an Informationen, die in hohem Umfang nicht-journalistischen Ursprungs sind, zum anderen daran, dass PR-Inhalte journalistischen Darstellungsformen immer ähnlicher werden. Wir sehen das auch unter anderem am Erfolg des Corporate Publishings.

Angeblich arbeitet Facebook für das Feature bereits an einem Bezahlsystem für einzelne Artikel. Die erhoffte Lösung der Umsatzeinbrüche vieler Medien?

Der Journalismus erprobt verschiedene Strategien für neue oder angepasste Bezahlsysteme. Neben Abonnement-Modellen gibt es auch Konzepte des sogenannten Social Payments, etwa Crowdfunding oder anteilige Honorierung wie bei Flattr. User können einzelne Beiträge auch mit verschiedenen Systemen kaufen, zum Beispiel mit Laterpay, Blendle oder mit Bitcoins – der Internet-Währung. Wenn eine Facebook-Variante davon käme, würde das sicher einen weiteren Schub für dieses Vermarktungsmodell bedeuten. Das alles kann aber nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des Gesamterlöses von klassischen Nachrichtenorganisationen sein.

Inwieweit ist das Konzept der Instant Articles ein Zukunftsmodell?

Instant Articles sind eine Form der Aufbereitung und Integration von journalistischen Beiträgen in eine geschlossene mediale Umgebung. Das heißt: Es ist nicht mehr als eine von vielen Vertriebsarten. Sie hat durch die vergleichsweise hohen Nutzungszahlen von Facebook eine besondere Bedeutung, wenn es um Reichweite geht. Aber natürlich braucht es weitreichendere Anstrengungen der Nachrichtenanbieter, um Journalismus auf allen Plattformen attraktiv(er) zu gestalten, ohne Integrität und Sorgfalt aufs Spiel zu setzen.

Welche Eigenschaften müssen Inhalte für „Instant Articles“ besitzen, um gut beim Publikum anzukommen? Funktioniert theoretisch jeder (journalistische) Content?

Eindruck hinterlassen Beiträge, die verschiedene Inhalte wie Text, Fotos, Audio, Video und Animationen kombinieren und Interaktion ermöglichen. Eine schlichte Nachricht wird deshalb die Möglichkeiten kaum ausreizen können, ein ausführlicher Bericht, eine Reportage oder ein Feature aber schon. Das ist eine weitere Möglichkeit, um komplexe Sachverhalte anschaulich zu vermitteln, erst recht auf dem Mobiltelefon.

© FacebookQuelle: Facebook

Was würden Sie Content-Anbietern raten, die mit dem Gedanken spielen, ihre Inhalte über Instant Articles zu veröffentlichen?

Sie sollten die Konditionen der Zusammenarbeit kritisch prüfen und sorgsam entscheiden, ob ihnen die Partnerschaft beim Erreichen ihrer Ziele hilft. Angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten in der digitalen Sphäre sollte kein Anbieter alles auf eine Partnerschaft setzen.

Auch die Messenger-App Snapchat veröffentlicht mit ihrer Funktion „Discover“ redaktionelle Inhalte. Lesen wir Nachrichten und Texte zukünftig nur noch auf dem Smartphone?

Fast 90 Prozent der Jugendlichen besitzen ein Smartphone und gehen damit ins Internet. Generell ist die mobile Mediennutzung ein zentrales Zukunftsthema, das die gesamte Medienbranche nachhaltig beschäftigt. Wir benutzen Smartphones, um überall Medieninhalte zu konsumieren und zu teilen, selbst Medien wie Fotos und Videos zu produzieren und miteinander zu kommunizieren. Das betrifft auch den Journalismus.

Brauchen Medienhäuser überhaupt noch eine eigene Homepage, wenn sie ihren Content über Social Media verbreiten können?

Nicht jedes journalistische Angebot braucht eine eigene Website. Manche Projekte funktionieren allein über ihre Präsenz in den sozialen Medien wie etwa auf Facebook, bei YouTube oder Twitter. Das kann Vorteile für kleinere Projekte oder auch Selbstständige haben, die keine hohen Geldsummen in eine eigene Website investieren können. Es bringt aber auch eine nicht zu unterschätzende Abhängigkeit. Journalisten und Redaktionen geben dadurch einen Teil ihrer Autonomie ab und müssen sich nach den Vertriebsstrukturen externer Unternehmen richten. Features wie Instant Articles können auch schnell wieder der Vergangenheit angehören. Die Verfügbarkeit der dort veröffentlichten Inhalte ist im Zweifelsfall der Willkür des jeweiligen Social-Media-Unternehmens unterworfen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.