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tl;dr (Lesezeit: 5 – 10 Minuten)

  • Dr. Holger Schmidt ist Journalist und Blogger auf “Netzökonom”
  • „Homeless Media“ wird laut Schmidt immer wichtiger.
  • Das Ziel bei einem Beitrag sei heutzutage vor allem der Like. “Das verstärkt den Trend, Inhalte reißerisch aufzubereiten.”
  • Doch glaubt er nicht, dass Millennials sich nur mit lustigen Katzenvideos zufriedengeben. Sie seien durchaus an qualitativ hochwertigen Inhalten interessiert. “Die alten Medienhäuser finden nur nicht die richtige Ansprache.”
  • Die Bedeutung von Plattformen wie Facebook werde in naher Zukunft nicht abnehmen. Doch sei für Medienhäuser Vorsicht geboten. Denn immer gelte: Am Ende gewinnt immer die Plattform.

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Ursprünglich wollte Holger Schmidt über den Klimaschutz schreiben – immerhin hatte er eine Doktorarbeit dazu verfasst. Das Thema sei ihm jedoch schnell zu politisch und zu emotional geworden, erklärte der Ökonom und Wirtschaftsjournalist später in einem Interview mit t3n. Die Netzwelt habe ihm besser gefallen. Dort ist er heimisch geworden – und hat sich mittlerweile selbst zur Marke gemacht. „Man muss das Netz für sich nutzen“, erzählt er im Gespräch mit OSK, „sowohl für die Recherche als auch für die Vermarktung von Inhalten.“

Als „Netzökonom“ bloggt Holger Schmidt seit 2007 über Big Data, Social Media, E-Commerce und Industrie 4.0. Mit zwei Newslettern informiert er über Medienwandel und die Digitalisierung der Wirtschaft. Der Blog entstand, während Schmidt als Redakteur für die Frankfurter Allgemeine Zeitung arbeitete. Dort koordinierte er die Zusammenarbeit zwischen Print und Online. Zudem verantwortete er die Sonderseite Netzwirtschaft, die im Wochenrhythmus erschien. Seit 2012 schreibt Schmidt als Chefkorrespondent für das Magazin Focus über digitale Wirtschaft.

Im Interview mit OSK spricht der Volkswirt über Virtual Reality, heimatlose Medien und die Gier nach Klicks. Mit der Klick-Besessenheit schade sich der Journalismus selbst, sagt Holger Schmidt – vor allem, solange Werbung die Finanzierungsstrategien der Verlage dominiert. Außerdem erklärt er, was Verlage sich von Technologie-Unternehmen abgucken sollten – und warum die wachsende Macht der sozialen Netzwerke den Journalismus bedroht.

Dr. Holger Schmidt
Journalist und Blogger auf “Netzökonom”

Web: Netzökonom
Twitter: @HolgerSchmidt
Facebook: Holger Schmidt und Netzökonom
Instagram: holgerschmidt
LinkedIn: Dr. Holger Schmidt
Xing: Dr. Holger Schmidt

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Ich denke, wir werden in Zukunft einen Journalismus sehen, der stärker auf die individuellen Interessen der Nutzer zugeschnitten ist. Durch den technischen Fortschritt werden wir in der Lage sein, Leser präziser zu bedienen als bisher.

Ich bin ein Freund der nüchternen, sachlichen Berichterstattung. Qualitätsjournalismus muss objektiv berichten und unnötige Zuspitzungen vermeiden. Diese geschehen oft in der Absicht, Verkaufszahlen steigern zu wollen. Im Online-Bereich hat es der Qualitätsjournalismus besonders schwer. Werbung trägt im Netz maßgeblich zur Finanzierung bei. Der Erfolg einer Seite – und damit auch der Werbeeinnahmen – bemisst sich immer noch daran, wie oft sie geklickt wird. Kurzweilige Beiträge in BuzzFeed-Manier generieren viele Klicks – das geht zulasten der langen, aufwändig recherchierten Stücke und führt insgesamt zu einer stärkeren Boulevardisierung.

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2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

„Homeless Media“ wird immer wichtiger. Inhalte stehen nicht mehr auf einer Homepage, sondern auf Plattformen. Sie werden durchs Netz geschoben, geteilt und retweetet. Der Like ist das Ziel. Das verstärkt den Trend, Inhalte reißerisch aufzubereiten. Interessant ist, dass wir im Fernsehen und im Musikbereich eine gegenläufige Bewegung beobachten können. Auf zu viel Trash folgte irgendwann der Wunsch der Nutzer nach guten und werbefreien Inhalten – das hat den Weg für Netflix, Amazon Prime und Spotify bereitet.

Ich hoffe sehr, dass die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte wieder wächst. Ich könnte mir vorstellen, dass die vielen Clickbaits, die das Netz überschwemmen, den Wunsch nach guten, seriösen und werbefreien Inhalten stärken – und damit vielleicht auch die Bereitschaft, für diese Inhalte zu zahlen.

Es widerstrebt mir, zu glauben, dass sich diese gebildete Generation mit Katzenvideos zufriedengibt.

Das Problem ist: Die Inhalte erreichen nicht immer die Zielgruppe. Nehmen wir die gut ausgebildeten, einkommensstarken Millennials, die Zielgruppe von Mic. Es widerstrebt mir, zu glauben, dass sich diese gebildete Generation mit Katzenvideos zufriedengibt. Sie ist durchaus an qualitativ hochwertigen Inhalten interessiert. Die alten Medienhäuser finden nur nicht die richtige Ansprache. Mic hingegen erzählt die Nachrichten aus Sicht der Millennials und verdeutlicht, was sie für einen Mittzwanziger wichtig macht. Das bedeutet auch, dass manche Geschichten bei null anfangen, weil viele Millennials keine Zeitung mehr lesen und daher laut Mic-Gründer Chris Altchek in vielen Dingen nicht wirklich informiert sind. Hinzu kommt, dass die Medienhäuser diese Gruppe von Menschen kaum noch erreichen, weder über die klassischen Verbreitungswege noch in den sozialen Netzwerken. Das hat dazu geführt, dass Newsletter eine Renaissance erleben. Die Millennials lesen sie morgens im Bett – sie greifen nach dem Aufwachen eh direkt zum Smartphone.

Virtual oder Augmented Reality ist auch so ein Trend, den allerdings vor allem die großen Tech-Unternehmen vorantreiben. Das wird sich durchsetzen. VR-Brillen sind momentan noch zu groß und zu klobig, um marktfähig zu sein. Aber die Möglichkeiten sind faszinierend – auch für Journalisten. Das wird auch das Fernsehen zu spüren bekommen, das schon jetzt viele junge Zuschauer verliert. 360-Grad-Videos sind toll, aber bis sie massentauglich sind, wird noch etwas Zeit vergehen. Trotzdem sollten Journalisten sich auf solche Entwicklungen einlassen. Ich bin ein Freund davon, Dinge zu testen.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Ich treffe Menschen, höre mir Vorträge an, besuche Konferenzen. Das war immer so und wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Exklusive Informationen erhält man nur auf diesem Wege, und auch Beziehungen kann man nicht anders bewahren. Aber wer weiß, vielleicht kann man sich ja bald über eine Virtual-Reality-Brille unterhalten und muss nicht mehr nach Amerika fliegen, um Leute zu treffen.

Twitter nutze ich als Nachrichtenticker, und im Social Web filtere ich für mich relevante Anregungen heraus. Das ist essenziell. Auch auf Konferenzen schaue ich gerne mal in den Newsfeed und suche nach bestimmten Hashtags. So erfahre ich von Dingen, die vorher vielleicht an mir vorbeigegangen wären. Für mich ist das eine wunderbare Ergänzung.

Man muss als Journalist nicht überall mitmachen.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Ich rate meinen Printkollegen immer, das Netz für sich zu nutzen – sowohl für die Recherche als auch für die Vermarktung von Inhalten. Im visuellen Bereich herrscht noch viel Nachholbedarf, auch bei mir. Bilder werden immer wichtiger, das beweist nicht zuletzt der Erfolg von Snapchat und Instagram. Ausprobieren lohnt sich, aber man muss als Journalist nicht überall mitmachen. Ich habe zwar einen Instagram-Account – aber alles und jeden zu fotografieren und das dann hochzuladen, das muss nicht sein. Und was Snapchat angeht, bin ich ebenso neugierig wie skeptisch. Ich denke nicht, dass es die digitale Zeitung ablöst.

// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen weiterhin gut informiert sein wollen. Aber es reicht nicht mehr, ein Gesamtpaket zu schnüren, das der Leser kaufen muss, wenn er nur zehn Prozent des Bündels lesen will. Bislang sind Verlage damit gut gefahren, in Zukunft werden sie ihre Inhalte aber entbündeln müssen. Das birgt ein gewisses wirtschaftliches Risiko, weil der Preis einzelner Beiträge natürlich niedriger ist als der einer ganzen Zeitung. Wenn man aber lernt, Inhalte zielgruppengerecht zuzuschneiden, sehe ich großes Potenzial in dieser Entbündelung: Der Leser wünscht sich Inhalte, die auf ihn zugeschnitten sind. Er wird bereit sein, dafür zu zahlen. Um Inhalte genauer zuzuschneiden, müssten die Verlage aber technisch aufrüsten. Das haben die wenigsten bislang getan. Technologie-Konzerne nutzen Daten, um passgenaue Angebote zu schnüren. Daran sollte sich der Journalismus orientieren – denn da hinkt er noch hinterher.

Auch Newsletter haben großes Potenzial. Es hängt nicht vom Algorithmus ab, welche Inhalte der Leser sieht – er entscheidet sich bewusst für die Texte, die er lesen will. Außerdem lassen sich Zielgruppen so sehr genau adressieren. Die Newsletter, die weniger breit gefächert sind, haben erfahrungsgemäß mehr Erfolg. Über sie erhalten Nutzer vertiefende Hintergrundinformationen zu einem klar abgegrenzten Thema, für das sie sich interessieren.

Ich betreibe selbst zwei Newsletter-Formate: Eines befasst sich mit der klassischen Netzökonomie, Medien und Social Media, das andere mit Dingen wie der digitalen Transformation und Industrie 4.0. Ich habe das ganz bewusst getrennt. Denn ich habe gemerkt, dass ich Leser verliere, wenn ich thematisch zu breit werde.

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6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Es gibt keinen Königsweg. Mir gefällt die Strategie der New York Times. Sie fährt vielgleisig, nimmt alle Medien- und Erlösströme mit. Sie probiert sich an technischen Neuerungen, nutzt Werbung und hat gleichzeitig ein Paid-Content-Modell hochgefahren. Oft glauben Medien, sich für eines der beiden entscheiden zu müssen: Paid Content oder Werbung. Der Guardian beispielsweise ist digital so erfolgreich, weil er radikal auf frei zugängliche Inhalte setzt und sich ausschließlich über Werbung finanziert. Das hat der Zeitung zunächst sehr gutgetan und aus dem Provinzblatt eine international anerkannte Marke gemacht. Auf Dauer ist die Strategie aber nicht aufgegangen, weil sie zu teuer war: Der Guardian hat hohe Verluste gemacht, trotz vieler Leser im Netz. Alan Rusbridger, der die Zeitung aufgebaut hat, musste gehen und seinen Posten als Chefredakteur abtreten. Insofern ist eine New York Times, die mehrgleisig fährt, ganz gut aufgestellt.

Die großen Flaggschiffe sind noch auf der Suche nach dem richtigen Weg.

Und dennoch: Auch die New York Times baut Stellen ab, und auch die Financial Times muss Leute entlassen. Die großen Flaggschiffe sind noch auf der Suche nach dem richtigen Weg. Es bleibt ein Trial-and-Error-Verfahren, und es wird nicht leichter. Denn die großen sozialen Netzwerke werden immer mächtiger. Facebook und Twitter präsentieren sich als Freund der Medien, sie vermitteln Reichweite und Umsatz – letztlich sind sie aber auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Facebook braucht die Verlage, um attraktiv zu bleiben, deshalb glaube ich nicht, dass Verleger in nächster Zeit für Instant Articles zahlen müssen. Ganz anders sieht es aber bei Snapchat aus, das die Nachrichtenanbieter offenbar jetzt schon zur Kasse bittet. Bei allen gilt: Am Ende gewinnt immer die Plattform.

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Plattformen wird auch in naher Zukunft nicht abnehmen. Denn die Menschen werden dort bleiben, wenn nicht auf Facebook, dann eben in einem anderen Netzwerk. Die amerikanischen Unternehmen haben verstanden, wie man sie bespielen muss – und dass es zwei Märkte sind, die man unbedingt erobern sollte. Man sieht das ganz deutlich an den Messenger-Diensten, die gerade aufgebohrt werden. Bislang waren das einseitige Märkte, weil Nutzer sich ausschließlich untereinander unterhalten haben. Jetzt werden es zweiseitige Märkte, weil die Unternehmen eingestiegen sind. Das ist Plattform-Gaming at it’s best, weil die Unternehmen so Millionen von potenziellen Nutzern erreichen können. Wenn man das sauber umsetzt, wird sich der Plattform-Gedanke verstärken.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Mobile bleibt natürlich zentral. Das bedeutet, dass wir weiterhin viele knackige Inhalte sehen werden. Denn auf einem mobilen Screen ist bekanntermaßen wenig Platz. Das fördert kurze Videoformate, wie Mic sie tagsüber veröffentlicht. Die Videos sind selten länger als 30 Sekunden – perfekt für unterwegs, wenn die Leute an der Bushaltestelle stehen. Längere Videos schaut das Publikum dann später zu Hause auf dem Fernseher.

Einen Nachteil haben Videos jedoch: Sie sind teuer. Virtual Reality wird das nicht ändern, im Gegenteil. Das wird den großen Medienunternehmen in die Hände spielen, die sich die Produktion leisten können.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Ein Twitter-Filter, der die wesentlichen Influencer aus einem Themenbereich identifiziert und herausfiltert, über was sie sich unterhalten. Wenn fünf der zwanzig bedeutendsten Meinungsmacher dieselbe Geschichte kommentieren, muss sie wohl wichtig sein. So könnte man in Echtzeit eine Rangfolge der Themen erstellen, die gerade wichtig sind. Ich habe mich mit einem Start-up mal daran versucht. Das Unternehmen ist zwar inzwischen eingestellt, weil es neben einem Fulltime-Job nicht zu schaffen war. Technisch war das aber überhaupt kein Problem. Twitter hat das jedoch bis heute nicht selbst geschafft. Was mich immer wieder irritiert, denn die Idee finde ich bis heute gut.


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Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.