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Glaubt man Publikationen, die in jüngster Zeit erschienen sind, ist das Ende einer jahrzehntelangen Liebesbeziehung bald besiegelt. Das Auto als Statussymbol habe ausgedient, argumentiert eine Studie der Berliner Strategieberatung “different”. Statt des Besitzes werde die Benutzung zukünftig im Vordergrund stehen, behauptet der Soziologe Andreas Knie von der TU Berlin, und der “Welt am Sonntag” war es am 12. Januar gar eine Titelstory – “Stirbt die Liebe zum Auto?” – wert. Verliert also das Auto im Zeitalter von Smartphones und Tablet-PCs tatsächlich an Faszination?

Die Zeiten, in denen Auto-Quartetts zum Inventar von Schulhöfen und zur Grundausstattung von 9 bis 14-Jährigen gehörten, sind zweifelsohne vorbei. Rückläufige Zulassungszahlen – 2013 wurde bei den Neufahrzeugen in Deutschland die 3-Millionen-Grenze verfehlt – sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Der Blick auf die Zulassungsstatistiken zeigt: Waren 1995 noch 48 Prozent der Neuwagenkäufer unter 45 Jahren, so hat sich dieser Anteil aktuell auf 26,9 Prozent reduziert. Für junge, kaufkräftige Menschen verliert das Auto also scheinbar an Attraktivität.

Eine Sichtweise, die sich als “common sense” zu etablieren scheint. Für eine Kommunikationsagentur, die eng mit dem Automobil verzahnt ist, hat dies hohe Relevanz. Schließlich gibt es auch gegenläufige Entwicklungen. Wenn das Auto nicht mehr zum ökologischen oder medien-orientierten Lebensstil junger Leute passt – wie ist dann die Entwicklung einer Community wie motor-talk.de zu erklären? Innerhalb von zehn Jahren ist die Internet-Plattform von einem virtuellen Schrauber-Treff (“Weiß jemand, wie man die Türverkleidung an einem Golf IV demontiert?”) zu einem Diskussionsforum mit mehr als 2,3 Millionen registrierten Mitgliedern geworden, von denen ständig zwischen 15.000 und 20.000 User online sind. User, die sich online über nichts lieber austauschen als über ihr Auto!

Ein tieferer Einblick ins Zahlenwerk fördert überraschende Erkenntnisse zu Tage.

Demographischer Faktor und Abwrackprämie

Wenn junge Leute weniger Autos kaufen, hat das auch mit dem demographischen Faktor zu tun. Seit 1995 hat sich die Altersstruktur der Bundesrepublik dramatisch verändert. Knapp 32 Prozent aller Deutschen waren 1990 zwischen 20 und 40 Jahren alt. Zwanzig Jahre später gehörten weniger als 25 Prozent Deutsche dieser Altersgruppe an. Ein Rückgang des Anteils an der Gesamtbevölkerung um 22 Prozent, der das Ausbleiben “junger” Neuwagenkäufer zumindest teilweise erklärt.

Aber eben nur teilweise. Denn tatsächlich zeigt sich der Rückgang in den Neuzulassungen vor allem bei den Privatautos: Zwischen 2003 und 2012 sank deren Zahl um immerhin 25 Prozent. Allerdings zeigt sich in der Zeitreihe privater Zulassungen ein gewaltiger Ausreißer: 2009 – im Jahr der Abwrackprämie – kauften sich annähernd doppelt so viele Bundesbürger ein neues Auto wie in den Jahren zuvor. Der Ersatzbedarf der Folgejahre wurde dadurch vorgezogen. Rechnet man diesen Effekt heraus, bleibt ein Rückgang in zehn Jahren von gerade mal vier Prozent übrig – statt 25 Prozent.

Verändertes Kaufverhalten: junger Gebrauchter statt Neuwagen

Vier Prozent weniger Verkäufe an Privatkunden sind aber immerhin 140.000 Neuwagen weniger. Und die wären ein echtes Indiz für nachlassendes Interesse, wenn es da nicht noch andere Phänomene gäbe: So stieg die Zahl gewerblich genutzter Fahrzeuge – also Leasing- oder Firmenautos – zwischen 2003 und 2012 gewaltig an. Der Firmenwagenmarkt wuchs um satte 60 Prozent. Nahezu jeder Firmenwagen landet aber – nach typischer Haltedauer von drei Jahren – bei privaten Nutzern. Schließlich gibt es kaum eine attraktivere Möglichkeit, relativ preiswert an ein Auto zu kommen, das technisch up-to-date ist. Das belegt auch die Statistik: Die Zahl der privaten Besitzumschreibungen hat sich in den letzten 10 Jahren erhöht. Mehr als 6,5 Millionen frischgebackene Besitzer freuten sich 2012 über ihren “neuen” Gebrauchten.

Wachstum auch in Krisenzeiten: der PKW-Bestand in Deutschland

Neuzulassungen und Besitzumschreibungen bilden jeweils nur einen Teil des Marktes ab. Der beste Indikator für die Bedeutung des Autos ist der PKW-Bestand: Der lag am 1. Januar 2013 bei 43,4 Millionen Fahrzeugen – und hat sich damit innerhalb der letzten fünf Jahre um 2,3 Millionen erhöht. Kamen 2008 auf Tausend Bundesbürger genau 500 Fahrzeuge, hat sich diese Zahl bis 2012 auf 525 Fahrzeuge erhöht – was einer Steigerung in nur vier Jahren von fünf Prozent entspricht. Im gleichen Zeitraum übrigens, in der das Thema “Globale Wirtschafts- und Finanzkrise” ganz oben auf der Agenda stand. Und viele Experten das Ende individueller Mobilität kommen sahen.

Auch die Führerschein-Statistik zeigt keine Abkehr vom Auto: 2002 waren 86 Prozent der 18 bis 29-Jährigen im Besitz eines Führerscheins. Eine Zahl, die sich seit Jahren stabil hält: 2008 trugen 87 Prozent eine Fahrerlaubnis in ihrer Brieftasche. Gegenüber 2002 ist die Zahl der Führerscheininhaber sogar von 56,5 auf 60 Millionen gewachsen – obwohl die Bevölkerungsentwicklung im gleichen Zeitraum rückläufig war.

Fazit: Tatsächlich gehen die Neuwagenverkäufe an Menschen unter 45 zurück. Aber das hat zwei Ursachen: Der demographische Faktor spielt eine Rolle, und das Kaufverhalten hat sich zugunsten junger Gebrauchter verändert. Der Fahrzeugbestand ist in den letzten Jahren sogar ständig gestiegen. Interessanter Nebenaspekt: Auch der Anteil weiblicher PKW-Halter wächst unaufhörlich. Lag er 2003 noch bei 28 Prozent, meldete das KBA für den 1. Januar 2013 einen Anteil von 33,1 Prozent PKW, die auf einen weiblichen Halter zugelassen waren.

Car-Sharing: Pragmatismus statt Überzeugung

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Ist aber vielleicht der Trend zum Car-Sharing ein Indiz für die Abkehr vom Auto? Die Zahlen sehen vielversprechend aus: BMW meldet für seinen Car-Sharing-Service “Drive Now” monatlich 10.000 Neuanmeldungen. Allein in Berlin, so ein BMW-Sprecher, hätten sich bereits 75.000 Nutzer angemeldet. Aber Car-Sharing ist und bleibt ein Trend, der sich ausschließlich in den Großstädten abspielt. “If you live in a city, you don’t need to own a car”, hatte im November 2000 schon William Clay Ford Jr., Chairman von Ford, gesagt. Weil nur hier zwei Dinge zusammenkommen: die Grenzen der Individualmobilität in Ballungszentren gepaart mit der Möglichkeit, eine benutzerfreundliche Infrastruktur für Car-Sharing aufzubauen, für das kurze Wege von der Wohnung zum Abstellplatz unerlässlich sind.

Dabei geht es aber nicht um einen Paradigmenwechsel der Einstellung zum Auto. Sondern um die Frage des Wohnorts und der finanziellen und infrastrukturellen Möglichkeiten. Die Frage, ob junge Menschen in der Stadt ein Auto haben wollen, stellt sich oft gar nicht: Sie können es sich – angesichts monatlicher Stellplatzpreise von mehr als 120 €, steigender Wohnungsmieten, späten Berufseinstiegen und Zeitverträgen – gar nicht leisten. Klar, dass die Einwohner von Metropolen das dichte ÖPNV-Netz und Car-Sharing-Angebote gerne nutzen, um ihre Mobilität aufrecht zu erhalten. Aber das ist eher eine Frage des Pragmatismus – und weniger der inneren Einstellung.

In kaum einem anderen Feld unterscheidet sich die Lebensrealität von Großstädtern so sehr von der Restbevölkerung wie im Bereich der individuellen Mobilität. Wer in ländlich strukturierte Gebiete geht, wird feststellen, dass dort kaum 18-Jährige anzutreffen sind, die nicht brennend interessiert daran sind, mit dem eigenen Auto – oder einem, das ihnen regelmäßig zur Verfügung steht – den eigenen Lebens- und Spielraum zu erweitern. Eine Erfahrung, die weder Facebook noch Skype ersetzen können.

Stabile Beziehung

Die Zahlen liefern also keinen Beleg für ein nachlassendes Interesse am Auto – oder gar das Ende einer Liebesbeziehung. Intensiv mit der Einstellung junger Menschen zum Auto hat sich aber der Soziologe Prof. Dr. Holger Rust von der Universität Hannover auseinandergesetzt. Über seine überraschenden Erkenntnisse demnächst hier mehr.

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