tl;dr

  • Antoine Genton ist Nachrichtenmoderator für den französischen TV-Sender iTélé
  • Der steigende zeitliche Druck im Journalismus geht seiner Meinung nach zulasten der inhaltlichen Qualität.
  • Den Trend, dass immer mehr Nicht-Journalisten journalistische Inhalte schaffen, sieht Genton kritisch.
  • Auch das visuelle Drumherum wie das Studio oder das Erscheinungsbild des Modertoren, auf den ersten Blick für viele vielleicht zweitrangig, seien für die Vermittlung von Nachrichten wichtig.
  • Mit neuen Tools und Plattformen setzen sich Journalisten laut Genton zu wenig auseinander. Jüngere Kollegen hätten hier einen klaren Vorteil.

© iTELE/Stéphane GrangierAntoine Genton lebt für den Journalismus. Als Nachrichtenmoderator für den französischen TV-Sender iTélé verantwortet der 37-Jährige eine ganze Bandbreite an Programminhalten. Immer ist er auf der Suche nach neuen Geschichten und verlässlichen Quellen. Sein großer Wissensdurst und eine unstillbare Neugier machten es für den Franzosen schier unmöglich, etwas anderes als eine journalistische Karriere zu verfolgen. Nach drei Jahren Literaturstudium und einem Masterabschluss in zeitgenössischer Geschichte besuchte Genton die Straßburger Journalistenschule, eine der renommiertesten Institutionen Frankreichs. Nach dem Studium zog es ihn zunächst zum Radio, wo er zum waschechten Nachrichtenjournalisten ausgebildet wurde. Nachdem er neun Jahre lang für die großen Informationssender des Landes gearbeitet hatte – darunter France Info, France Inter und RFI – beschloss Genton, sich dem Fernsehen zu widmen. Seit 2012 moderiert er bei iTélé. Im Gespräch mit OSK erklärt er, wieso das anziehende Tempo im Nachrichtenjournalismus eine Gefahr für die Branche ist und wieso es bei TV-Nachrichten auch ums Aussehen geht.

Antoine Genton
Nachrichtenmoderator bei iTélé

Twitter: @antoinegenton
Facebook: Antoine Genton
LinkedIn: Antoine Genton

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Die Ansprüche an den Journalismus von morgen ähneln denen an den Journalismus von gestern. Die grundlegenden Regeln gelten noch immer: Verifiziere deine Quellen, sei ehrlich und gründlich, bleibe ernsthaft. Es gibt nur diese eine Art, Journalismus zu machen. Wer das nicht respektiert, ist kein Journalist.

Gleichzeitig wird es eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre sein, diese Grundsätze auch in Zeiten von ökonomischen Zwängen aufrechtzuerhalten. Das kann man an meiner Position ganz gut illustrieren: Als Fernseh-Nachrichtenjournalist muss ich Informationen sehr schnell analysieren, verifizieren und verarbeiten. Das ist insofern schwierig, als dass wir es immer mit strikten Deadlines zu tun haben und Informationen zu einem bestimmten Zeitpunkt liefern müssen. Magazine, die wöchentlich oder nur einmal im Monat erscheinen, haben das Problem nicht so sehr. Auch die Abendnachrichten haben mehr Zeit, in Frankreich ebenso wie im europäischen Ausland. Aber auch sie bekommen den Druck von Social Media zu spüren. Das Tempo zieht immer weiter an. Informationen werden in den sozialen Netzen schneller verbreitet. Das geht zulasten der Qualität. Guter Journalismus braucht Zeit. Ohne Zeit laufen wir Gefahr, Informationen zu verzerren.

Wenn wir Nachrichten senden, müssen wir uns unserer Quellen immer hundertprozentig sicher sein. Ein Verifizierungsprozess ist unumgänglich. Manchmal verwenden wir aber auch Agenturmaterial, zum Beispiel von der AFP (Anm. der Redaktion: Agence France-Presse). Dort können uns dann Fehler unterlaufen, wenn wir die Meldung nicht mehr selbst prüfen. Ein prominentes Beispiel für dieses Risiko war der angebliche Tod von Martin Bouygues, Vorsitzender der Bouygues-Unternehmensgruppe. Die Medien haben die Info für bare Münze genommen, weil sie ja von einer seriösen Quelle kam, der AFP. Dann aber stellte sich heraus, dass Martin Bouygues nicht ums Leben gekommen, sondern gesund und munter war. Die ursprüngliche Meldung der Agentur war sehr dürftig. Die Journalisten hätten das zum Recherche-Anlass nehmen müssen, um die Information zu überprüfen.

Zum Glück ist mir so etwas noch nie bei iTélé passiert. Und dennoch werden auch wir dafür kritisiert, dass wir Informationen nicht richtig verarbeiten oder wichtigen Nachrichten nicht genug Aufmerksamkeit widmen. So etwas wird vor allem dann wichtig, wenn wir über Situationen berichten, die sich aktuell und schnell entwickeln. Die Terroranschläge von Paris waren eine solche Situation. Während solcher Ereignisse, wenn so viel auf einmal passiert und ständig neue Informationen auftauchen, ist es für uns wahnsinnig wichtig, unter den ersten zu sein, die davon berichten – wenn nicht sogar die allerersten. Dieses Rennen darum, wer eine Nachricht als erster hat, geht zulasten der inhaltlichen Qualität. Daher müssen wir manchmal Luft holen und uns zurückfallen lassen, wenn es darum geht, hochwertige, geprüfte Inhalte zu produzieren, auch wenn das bedeutet, dass wir der Konkurrenz das Feld überlassen. Immerhin geht es letztlich um unsere Glaubwürdigkeit.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Ich beobachte derzeit zwei große Trends: Der erste große Trend ist, dass verstärkt Nicht-Journalisten journalistische Inhalte schaffen. Die Medien nennen diese Nicht-Journalisten – darunter Zuschauer, Zuhörer und Leser – „Beobachter“ und spannen sie sogar ein, um ihre eigenen Inhalte anzureichern. Aber es ist wichtig, zwischen harten, objektiven Fakten und subjektiven Meinungen zu unterscheiden. Beobachter liefern vor allem letzteres. Diese Grenze darf nicht verwischen. Diese Praxis, die sicherlich einst sinnvoll war, suggeriert mittlerweile immer häufiger, dass jeder Journalist sein kann. Jeder, der ein Smartphone hat, kann Fotos und Videos aufnehmen und sie überall veröffentlichen, so wie es die traditionellen Medien tun. Die Regeln, von denen ich eingangs gesprochen habe, werden dabei jedoch nicht immer respektiert. Insofern halte ich diese Entwicklung für sehr gefährlich.

Der zweite Trend ist, dass wir Journalisten immer häufiger in den sozialen Netzwerken recherchieren, auf Twitter zum Beispiel. Diese Plattformen liefern wahnsinnig viele Inhalte, die allerdings gründlich sortiert und geprüft werden müssen. Um noch einmal auf die Terroranschläge zurückzukommen: Nutzer berichteten in den sozialen Netzwerken von Schüssen am Bahnhof Châtelet Les Halles. Es stellte sich heraus, dass die Info falsch war. Die sozialen Netzwerke können also nützlich sein, wir sollten uns aber hüten, nur noch dort nach Informationen zu suchen.

Twitter liefert nicht die meisten Inhalte.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Neben Twitter nutze ich noch einige externe Quellen und durchforste das Internet, um nach guten Inhalten zu suchen. Twitter liefert nicht die meisten Inhalte, das tun die Nachrichtenagenturen und die klassischen Medien. Natürlich habe ich auch meine persönlichen Quellen, die ich kenne, direkt anspreche und als vertrauensvoll einschätze. Ich nutze vor allem renommierte französische, europäische und internationale Medien. Wenn ich eine Information aus anderen Medien übernehmen muss und ihren Wahrheitsgehalt nicht selbst kontrollieren kann, gebe ich immer auch die Originalquelle an. Das entlässt mich aber natürlich nicht aus der Verantwortung, es wäre heuchlerisch, das zu sagen. Ich entscheide, welche Inhalte ich für wichtig genug halte, um sie zu veröffentlichen. Insofern bin ich auch für sie verantwortlich.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Ich muss glaubwürdig bleiben. Kontrollierte, überprüfte Informationen machen den Kern unserer Nachrichten aus. Wenn ich anfange, Blödsinn zu erzählen, werden meine Zuschauer sich einer anderen Nachrichtenquelle zuwenden. Auch der Kontext ist wichtig, damit eine Information als seriös verstanden wird. Dazu gehört die visuelle Ebene. Die Bilder, die wir verwenden, müssen absolut originär und unverfälscht sein. Wir haben einige Mitarbeiter, die sehr viel Zeit darauf verwenden, die Echtheit von Bildern und Filmmaterial zu überprüfen. Auch das visuelle Drumherum ist wichtig, das Studio und unser Outfit beispielsweise. Solche Dinge mögen nichtig erscheinen. Sie beeinflussen aber stark, wie wir auf unsere Zuschauer wirken – und wie die Nachrichten wirken, die wir vermitteln: Wenn ich das auf einmal in einer anderen Umgebung und in einem sehr legeren Outfit tue, könnten sie ganz anders verstanden werden.

// Über #ZukunftDesJournalismus

Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht nimmt meine Antwort jetzt auch einen Umweg, aber ich denke, dass Journalisten sich zu wenig mit den neuen Tools und Plattformen auseinandersetzen. Die Technik entwickelt sich derzeit in einem rasend schnellen Tempo weiter. Ich bemerke das auch an mir und versuche verzweifelt, mitzuhalten. Aber wann immer neue, jüngere Kollegen bei uns in der Redaktion anfangen, merke ich, dass sie sich besser mit diesen Technologien auskennen und besser vernetzt sind. Es gibt also ein Weiterbildungsproblem. Wir müssen diese neuen Tools und Plattformen in unseren Arbeitsalltag integrieren und unsere Inhalte darüber verbreiten. Unsere Redaktionen kommunizieren noch zu wenig mit den Nutzern, auch wenn einige bereits damit begonnen haben. Es gibt eine wichtige Diskussion, die geführt werden muss, die aber nicht geführt wird. Das ist wirklich bedauerlich, denn wir können unsere Leser über diese Plattformen erreichen – darin liegt ihr größtes Potenzial.

Der Profit darf nicht im Vordergrund stehen.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Werbung, gar keine Frage. In Frankreich kontrollieren derzeit einige wenige Milliardäre über 90 Prozent der Medien. Das führt zo großer Sorge darüber, dass einzelne Milliardäre die Medien, die sie besitzen, im Sinne ihrer eigenen Interessen missbrauchen könnten. Werbung konkurriert schon seit Jahren mit redaktionellen Inhalten und wird auch in Zukunft immer wichtiger. Ein zweiter Weg ist, werbefreie Inhalte zu verkaufen, wie es beispielsweise bei Mediapart und Canard Enchaîné geschieht. Das könnte die einfachste und effizienteste Lösung sein, aber die Modelle sind noch nicht ausgereift und insofern riskant. Dennoch sind beide Wege komplementär und existieren parallel. Ich glaube auch an das Crowd-finanzierte Modell, das Mediapart verfolgt (Anm. der Redaktion: Mediapart ist eine französische Online-Zeitung, die sich nur durch zahlende Abonnenten finanziert). Es heißt oft, dieses Modell sei vollkommen neu, dabei existiert es schon seit einem knappen Jahrhundert: Canard Enchaîné wurde 1915 gegründet – eine Wochenzeitung, die völlig ohne Werbung auskommt und dennoch bezahlbar ist. Mediapart ist dahingegen teurer, ein Monatsabo kostet fast neun Euro. Die Zeitung stellt ihre Inhalte im Netz aber unabhängig davon frei zur Verfügung. Medienhäuser und Verlage ticken nun einmal anders als andere Unternehmen; sie sind ein Rad im Getriebe der Demokratie. Ein Medienunternehmen wirtschaftet nicht wie ein traditionelles industrielles Unternehmen. Natürlich müssen auch Medien profitabel sein, aber der Profit darf nicht im Vordergrund stehen.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Die Medienlandschaft wird sich fortlaufend und schnell entwickeln in den kommenden fünf Jahren. Die Informationen an sich werden sich nicht dramatisch verändern, dafür aber ihre Form und ihre Entstehung, also wer zu Wort kommt, wie gefilmt wird, welche Einstellungen und Perspektiven gewählt werden. Auch wie wir bestimmte Themen behandeln, wird sich verändern. Diese Veränderungen hängen stark von aktuellen Entwicklungen ab. Wir sprechen derzeit zum Beispiel viel über wirtschaftliche Themen. Das sind Themen, die der Gesellschaft derzeit etwas bedeuten. Ich denke, dieser Trend wird sich verstärken.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Ich sehe noch großes Potenzial beim Radio, da dort bislang weniger Geld generiert wird als mit anderen Medien. Dennoch ist Radio unglaublich wichtig und hat einen großen Vorteil gegenüber anderen Medien: Es ist ein passives Medium. Der Hörer muss dem Radio nicht seine ganze Aufmerksamkeit widmen. Er kann produktiv sein und etwas anderes tun, während er die Nachrichten verfolgt. Dieses Medium, auch wenn es Teil der alten Mediengeneration ist, hat noch immer eine große Gewinnspanne; es verdient unsere Aufmerksamkeit.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.