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Mehr als 500 Journalisten, Verleger, Digitaler und Mediendesigner diskutierten beim European Newspaper Congress vom 04. bis 06. Mai 2014 in Wien die Zukunftsfragen des Printmarktes. Die wesentlichen Themen der zweitägigen Agenda: Die Veränderung der Medien in Zeiten der Digitalisierung, kreative Formatentwicklungen im Zeitungsmarkt, Stichwort “Roboter-Journalismus” und Change-Prozesse in Medienhäusern.

Google-Manager fordert Umdenken der Zeitungsbranche

Den Startschuss gab Robert Gingrass, Director of News and Social Products bei Google. “Wir befinden uns in einer Renaissance der journalistischen Kreativität”, so Gingrass zu Beginn seines Vortrages. Die Rolle von Google definierte er klar: Informationen der Welt organisieren und sie einfach zugänglich machen. Gingrass distanzierte sich dabei klar von der Sichtweise, dass Google ein zentraler Widersacher für Publisher sei. Aus seiner Sicht befindet sich Google vielmehr in einer symbiotischen Beziehung zu Verlegern und ist in erster Linie dafür verantwortlich, die unglaubliche Menge an verfügbaren Daten zu strukturieren, zu organisieren und einen Boden für Kreativität und Innovationen zu schaffen. “Die Zukunft des Journalismus wird besser sein als in der Vergangenheit, wenn man versteht, die Möglichkeiten zu nutzen”. Den Medienunternehmen riet er, sich auf relevante Geschichten zu konzentrieren: “Konsumenten besuchen ein Angebot nicht mehr allein durch die Eingangstüre, also die Frontpage. Sie kommen stattdessen durch ein Fenster, oder einen Seiteneingang direkt ins Wohnzimmer oder ins Bad”, pointierte er. “Sie kommen heute über ‘go-away-sites’, nicht mehr über ‘go-to-sites'”. Während früher noch Suchmaschinen und die Blogosphäre an erster Stelle standen, sind es heute Social Networks.

Das Internet hat die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Media Produkt und die Architektur von News Content verändert. Er sprach sich dafür aus, die Arbeit und das Know How von Journalisten besser zu nutzen: Journalisten müsse man mit den richtigen Tools unterstützen, Big Data ist eine unbedingte Voraussetzung für die erfolgreiche journalistische Arbeit in der digitalen Zeit. Dafür müssten sich Journalisten zwingend öffnen. Ein einfacher Weg sei aber kaum zu erwarten.

European Newspaper Congress 2014 (Publishers Forum) © Verlag Johann Oberauer GmbH/APA-Fotoservice/Schedl

Change Prozesse in Medienhäusern

“Viel gesagt, wenig preisgegeben”, war das erste Resümee des Moderators nach der Präsentation von Veit Dengler, des neuen CEO der NZZ Gruppe über die Zukunft des Medienhauses. Er sprach zu Beginn über die Phasen des Veränderungsprozesses, in dem sich Medienhäuser im Zuge der Digitalisierung befinden: am Anfang enormer Veränderungsdruck durch technologische Erneuerungen, dann ein Veränderungsschock durch den Verlust tradierter Geschäftsmodelle und schließlich Veränderungsstarre, weil neue Geschäftspotentiale durch schnelle, mutige und kreative Start-Ups entdeckt und umgesetzt werden. Für Dengler gibt es nur drei Wege, Verlagshäuser aus der Krise zu führen: durch den Fokus auf werbefinanziertes Handeln, also einer Öffnung zu neuen Werbeformaten, insbesondere in der Grauzone der Vermischung von journalistischem Content und Werbung – was er persönlich für kritisch hält. Eine Alternative ist der Zukauf digitaler Unternehmen, wie es Springer praktiziert. Oder aber die Fokussierung auf die Kernkompetenz und damit den Ausbau des publizistischen Angebots.

Die Strategie der NZZ Gruppe wird der Ausbau des journalistischen Angebotes sein. Journalismus muss sich wieder auf seine Qualität konzentrieren: fachkompetent einordnen, analysieren, kommentieren. Für die NZZ bedeutet das auch einen Ausbau der digitalen Kanäle. Aber alles hat seinen Preis, auch und vor allem die journalistische Qualität. Die Preiselastizitäten von digitalen journalistischen Produkten seien noch längst nicht festgesetzt. Content wird bei der NZZ künftig in unterschiedlichen Produkten für verschiedene Zielgruppen angeboten und individuell bepreist. Bei aller Rhetorik blieb Dengler’s Vortrag jedoch eine Antwort schuldig: Wie können Medienhäuser heute erfolgreich Paid Content Modelle aufsetzen und wie lassen sich neue Print-Strategien tatsächlich refinanzieren?

Die Zeitung von morgen

Ein Schwerpunkt des Kongresses waren aktuelle Trends im Zeitungs-Markt vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der Veränderung des Mediennutzungsverhaltens. Keynote Speaker Norbert Küpper erkennt im Wesentlichen drei prägende Trends:

  1. Visuelles Storytelling,
  2. Aufhebung klassischer Ressortstrukturen,
  3. Wachsende Bedeutung von regionalen und lokalen Inhalten.

Visuelles Storytelling ist heute auch im Print ein Mix aus Bildern, Fotoreportagen, Infographiken, Illustrationen und Text. Die Entwicklung neuer Formate ist ein entscheidendes Differenzierungskriterium für Zeitungen, um sich aus der Gleichförmigkeit bei Bildgrößen, Größen der Überschriften sowie der Textlastigkeit herauszuheben. Auf diese Weise reagiert Storytelling auch auf das veränderte Verhalten der Mediennutzung. Bei den überregionalen Zeitungen wurde jüngst “de Volkskrant” als “European Newspaper of the Year” ausgezeichnet. Warum? Die Zeitung trennt sich von der gelernten Textlastigkeit und damit der Sachlichkeit von Zeitungen und durchbricht alte Ressortstrukturen und Formate: Die Titelseite wird häufig zum Inhaltsverzeichnis aus Fotos und kurzen Überschriften. Man setzt weniger auf lange Text auf der Titelseite, sondern auf die visuelle Präsentation von Themen.

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Die Redaktion hat sich zur Aufgabe gemacht, auf den ersten Seiten die wichtigsten Themen des Tages zu platzieren. Unter “Ten eerste” – das Wichtigste – können durchaus klassische Ressorts abgebildet werden, sofern sie für die Leser die wichtigsten Nachrichten abbilden. Tagesaktuelle Relevanz ist oberstes Kriterium, die Zeitung nimmt damit eine neue Haltung ein. Unten anbei eine Cover-Story zum Thema “Kälte”. Weil Niederländer gerne Schlittschuhlaufen, zeigt das Nummer 1 Thema an diesem Tag bei “de Volkskrant” die vereisten Haare eines Schlittschuh-Läufers und unten in der Infographik die besten Eislaufstrecken.

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Auf Seite 2 und 3 (Bild unten) gleich drei Ressorts: Ausland –  ein Artikel über den Einsatz französischer Truppen in Mali; Inland – ein Artikel über das niederländische Königshaus;  Wirtschaft – auf der rechten Seite 1 Thema über die Preisentwicklung bei Häusern und Hypotheken. Auch hier dem Trend von visuellem Storytelling gefolgt.

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Beispielhaft auch die folgende Doppelseite über die Ansprache Wilhelm-Alexanders anlässlich seiner Amtseinführung.

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Neben Bildern sind gelbe Markierungen im Text mit kleinen Zahlen versehen, die Textpassagen sind von außen bebildert und werden von zwei Autoren kommentiert. “De Volkskrant” bringt zudem täglich eine Beilage heraus, die sich mit den Themen Kunst, Medien, Essen Mode, Film, Theater, Fernsehen, Fotographie beschäftigt. Hier erkennt man besonders gut das neue Format von visuellem oder alternativem Storytelling und die Ausdrucksstärke von Bildern.

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Neben “de Volkskrant” wurden weitere Awards für kreative Ideen im Zeitungsmarkt vergeben. Besonders die kleineren Zeitungen setzen verstärkt auf regionalen bzw. lokalen Content, deutlich emotional und subjektiv aufbereitet, damit sich die Leser besser identifizieren können. Das unten stehende Bild zeigt eine Doppelseite eines Artikels der ebenfalls prämierten norwegischen Lokalzeitung “Hâllingdólen”. Es geht dabei um die Spur des Wolfes, die man auch im Verbreitungsgebiet von “Hâllingdólen” finden kann. Die komplette rechte Seite mit einem visuellen Aufmacher. Oben links zeigt eine Landkarte, wo man auf Wölfe stoßen kann. Unten in der Seitenmitte sind Fährten von verschiedenen Wölfen abgebildet. Das Beispiel zeigt die Selbstverständlichkeit, mit der man bei einer lokalen Zeitung eine Kombination aus Fotographie, Infographik, Faktenbox und Text einsetzt.

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Die präsentierten Cases zeigen eindrucksvoll, wie sich journalistische Stilformen verändern, wie sich Tageszeitungen durch ihr Erscheinungsbild quasi zu täglich erscheinenden Wochenzeitungen entwickeln und wie groß die Bedeutung von Design und Art-Work bei der Entwicklung von Zeitungsformaten geworden ist.

Case Study “Freunde von Freunden”: eine unverwechselbare Community mit einem funktionierenden Geschäftsmodell?

Anschließend an die Präsentation der Zeitungstrends folgte ein Vortrag von Zsuzanna Todt, der Redaktionsleiterin des Portals “Freunde von Freunden” (FvF). Das Berliner Start-up porträtiert kreative und urbane Menschen auf der ganzen Welt und zeigt sie in ihrem Kontext, insbesondere in ihrem Arbeitsumfeld. Der Vortrag hatte den Untertitel: Wie Online-Communities funktionieren und sich in rentable Geschäftsmodelle verwandeln lassen. FvF startete 2009 als unabhängiges Online-Magazin mit Themen rund um den urbanen Lifestyle kreativer Menschen. Heute repräsentieren sie eine facettenreiche Medienmarke, die sich vornehmlich über Markenkooperationen refinanziert. Einfach gesprochen bedeutet das, FvF öffnet seine Türen für Kooperationen mit werbetreibenden Marken. Am Beispiel eines Projektes mit der Marke Vitra wurde die Kooperation erklärt: Für Vitra sind Kreative in ihrem Wohnumfeld porträtiert worden, die zuhause mit Vitra Möbeln leben. Die Produkte sind deutlich im Bild zu erkennen, wenn man mit dem Curser über ein Möbelstück fährt, erscheinen in einem Fenster noch zusätzliche Produktinformationen, klar gekennzeichnet. Die Porträts im Rahmen einer solchen Markenkooperation fügen sich ansonsten nahtlos und gut gemacht in den ursprünglichen Content der Plattform ein.

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Wie zu erwarten, ging während der Darstellung solcher Kooperationsformen ein Raunen durch die anwesenden Journalisten. Die Redaktionsleiterin musste sich teilweise harsche Zwischenrufe und Nachfragen nach der Vereinbarkeit ihrer Portal-Idee mit journalistischer Unabhängigkeit gefallen lassen. Bemerkenswert allerdings, dass ausgerechnet nach ihrem Vortrag die meisten Fragen gestellt wurden – vor allem zur Art und Weise der Bezahlmodalitäten.

FvF ist nur ein Portal von vielen, die versuchen, Content als Angebot für Markenkooperationen zu entwickeln. Das ist mitunter die Idee von Branded Content. Die Empörung ist immer riesengroß, wenn es um eine mutmaßliche Vermischung von “Programm und Werbung” geht. Im Netz gibt es keine fixen Formate mehr. Jeder schreit nach Content, Content soll die Hauptrolle in der Unternehmenskommunikation spielen. “Freunde von Freunden” entwickelt relevanten Content für eine immer größer werdende Community, die auf eine kluge Weise Markenkooperationen integriert. Bleibt die Frage, inwiefern sich das Geschäftsmodell standardisieren lässt und inwiefern sich Kooperationen auf der Plattform attraktiv multiplizieren lassen etc. Aber für den Moment: eine sehr schöne (Content)-Idee.

Artifizieller, semi-aggregierter Journalismus: Gefahr oder Chance für Publisher?

Jeweils zum Schluss der beiden Kongress-Tage präsentierten Start-ups in kurzen Vorträgen ihre Geschäftsideen zum Thema Roboter-Journalismus. Das heißt, innovative Tools zur Unterstützung von klassischer Redaktionsarbeit. Es ist zu verstehen als ein Mix aus Automatisierung und Spezialisierung und meint das durch Technik organisierte Entdecken, Sortieren, Organisieren, Produzieren und Verbreiten von Inhalten. Egal ob Fotos, Videos, Infografiken oder die Selektion der wichtigsten Tweets aus dem unendlichen Stream von Twitter.

Anbei drei Beispiele: Scoopshot, Tame & Datawrapper

Scoopshot macht es möglich, sich schnell, gezielt, exklusiv und günstig Fotos zu beschaffen. Jeder, der sich als  (Hobby)-Fotograf bei Scoopshot anmeldet, kann seine Handyfotos auf der Seite hochladen. Ein Unternehmen – oder auch Andere – haben die Möglichkeit, diese Bilder zu kaufen. Wird ein Bild gekauft, bekommt Scoopshot eine Provision und der Fotograf  natürlich ebenfalls einen Betrag für sein Bild –  und gibt damit das Bildrecht an den Käufer ab. Ein Unternehmen kann auch so genannte „Tasks“ ausschreiben, also Themen, zu dem es Bilder kaufen möchte. Zum Beispiel: Menschen beim Feiern in Köln. Der Task wird ausgeschrieben und regional zugeschnitten an alle User im Raum Köln geschickt. Besondere Relevanz erfährt die Plattform z.B. bei Augenzeugen-Fotos von Ereignissen, auf die Nachrichtenagenturen dann sofort zugreifen können.

Tame steigert den Nutzen von Twitter, so dass der Kurznachrichtendienst redaktionell sinnvoll eingesetzt werden kann. Tame sortiert Tweets nach Themen und Hashtags, Benutzerkonten, Relevanz und anderen Kriterien.

Datawrapper dient der sehr schnellen Visualisierung von Daten aller Art. Redakteure können innerhalb weniger Minuten anhand eines Datenbestandes detaillierte, interaktive Infografiken anfertigen lassen und diese leicht in ihre digitalen Produkte integrieren.

Alle Referenten gaben klar zu verstehen, dass der Begriff “Roboter-Journalismus” irreführend sei und dass die Tools keinesfalls als Substitution zu journalistischer Arbeit zu verstehen sind. Dennoch brauchen Journalisten heute unterstützende Software, um ihre Arbeit gerade in der digitalen Welt schneller und effizienter umzusetzen und um neue journalistische Formate entwickeln zu können. Der ENC 2014 bot spannende Vorträge, insbesondere in puncto aktuelle Trends im Zeitungsmarkt mit dem Fokus auf visuelles Storytelling. Das wird künftig nicht nur wegweisend für Zeitungsmacher sein, sondern zum Beispiel auch für das Angebot von PR Agenturen für ihre Kunden. Gleichzeitig war immer noch die große kulturelle Kluft zwischen den “Disziplinen” zu spüren, die die heutigen Anforderungen – Stichwort Neustrukturierung von Redaktionen – an die Entwicklung innovativer digitaler Produkte bei großen Publishern so schwer beziehungsweise fast unmöglich macht.

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